Dienstag, 21. August 2007

Stadt voller Kontraste

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Blick von Ortaköy auf den asiatischen Teil Istanbuls

Diesen Sommer war ich nun seit langem wieder in Istanbul. Aber nicht nur um Verwandte zu besuchen oder gar Urlaub zu machen, sondern um zu famulieren.
Da ich mit dem klinischen Alltag hier schon einigermaßen vertraut bin, hat es mich interessiert wie es in türkischen Kliniken mit der Patientenversorgung oder ganz allgemein mit dem Gesundheitssystem aussieht. Zugegeben, vielleicht war es auch meine Neugier die bei uns etwas selteneren Notfälle zu sehen, weshalb ich mich ausgerechnet um einen Platz in der Notfallmedizin / Traumatologie beworben habe. Denn in einer so riesigen Stadt wie Istanbul gehört die Versorgung von Schusswunden oder Messerstichen schon zum Alltag.

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Die Stelle bekam ich dann in der Universitätsklinik Capa Istanbul, die wohl älteste Klinikanstalt Istanbuls. Denn mit ihrem Bau wurde bereits bald nach dem Untergang des oströmischen Reiches begonnen - das Klinikareal wirkt durch die vielen separaten Gebäude wie ein kleines Dorf - ganz angenehm eigentlich.
Während der Famulatur wohnte ich bei meiner Cousine, die auf dem europäischen Teil und somit für mich recht günstig gelegen wohnt - für Istanbul-Verhältnisse bedeutet das also eineinhalb bis zwei Stunden Fahrt jeden Morgen (abhängig vom Verkehr) mit Bus, in der ich nur selten einen Sitzplatz ergattern konnte, Metro und Straßenbahn.

Im Großen und Ganzen unterschied sich das Klinik-Milieu nicht besonders von den Krankenhäusern hier - in der Früh die Visite, die vielleicht etwas chaotischer ablief und in der die Patienten nur selten zu Wort kamen, die Stations- und Oberärzte am operieren den ganzen Tag während nur wenige Assistenzärzte mit vollen Wartezimmern der Ambulanz konfrontiert waren. Meine Aufgaben als Famulantin unterschieden sich auch nicht besonders von denen hier.
Aber doch gab es gewisse gravierende Unterschiede. Insgesamt hatte ich einfach den Eindruck, dass mit weniger Geld mehr geleistet werden muss.
Besonders schlimm empfand ich die langen Wartezeiten, die schwerverletzten Patienten zugemutet wurden - ein ewiges Procedere immer. Fast alle Patienten mit denen ich mich in der Notaufnahme unterhielt klagten darüber. Die Ärzte arbeiteten aber ohnehin schon wie im Akkord - manchmal auch schon 30 Stunden am Stück nicht geschlafen und mussten sich zudem mit soviel Schreibkram abmühen. Es herrschte eben ein Kapazitätsbedarf an Ärzten und medizinischen Ressourcen.
Diese Umstände sind vielleicht damit zu erklären, dass es auf einer Notfallambulanz generell etwas hektischer zugeht und es sich um ein staatliches Krankenhaus gehandelt hat. Aber dennoch ist es für mich unvorstellbar, dass Menschen mit Schussverletzungen stundenlang nüchtern hinter einem Vorhang warten müssen, weil kein OP frei ist. Oder Patienten mit abgerissenen Fingern erst Faden, Verbandsmaterial und Betäubungsmittel kaufen müssen, bevor sie behandelt werden können. Sogar die Leitungen, die den Patienten für Infusionen gelegt wurden, und auch alle Medikamente müssen sie selber kaufen. Besonders weh getan hat es mir, als während meinem Nachtdienst ein junger Mann mit halbdurchtrenntem Arm nach stundenlangem Warten schließlich in ein anderes Krankenhaus dirigiert werden musste, weil alle plastischen Chirurgen mit anderen Notfällen beschäftigt waren oder ein knallgelber, abgemagerter Patient zu einem anderen Krankenhaus geschickt wurde, weil er nicht entsprechend versichert war. Es ist sehr traurig, dass der Wert eines Menschen am Geld gemessen wird.
Diese Sachen haben mich sehr schockiert, vor allem wenn man weiß wie es auch anders sein kann in Istanbul. Istanbul ist eben nicht nur eine Stadt zwischen zwei Kontinenten sondern auch zwischen zwei Welten - wenn ich nur an die starken Kontraste zwischen den Ressourcen von staatlichen und privaten Krankenhäusern denke. Eine gerechte Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen sollte von der Politik dringlichst angestrebt werden.
Die Ärzte, die alle fachlich wirklich sehr kompetent waren und durch ihre Auslandsaufenthalte meist fließend Englisch sprachen, waren häufig selber sehr unzufrieden mit den ihnen zur Verfügung stehenden knappen Mitteln. Sie waren übrigens auch sehr freundlich mit mir und erklärten mir gerne alles auch auf Englisch, wenn ich mit meinem Türkisch an meinen Grenzen war.

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Die Patienten bekommen schließlich schon eine adäquate und optimale Versorgung - es ist nur eben etwas umständlicher.

Ebenfalls schockiert hat mich auch der leichtherzige Umgang der Schwestern beim Blutabnehmen - ganz ohne Handschuhe und die Desinfektion wurde auch nicht immer ernst genommen. Die Blutproben mussten die Patienten übrigens selber ins Labor bringen - ohne die Unterstützung der Angehörigen ist es also gar nicht so einfach als Patient.

Nach meinen Beobachtungen muss ich noch mit dem bei uns sehr weitläufigen Begriff des "Türkenbauchs" aufräumen, der die angebliche, übertriebene Wehleidigkeit türkischer Patienten zum Ausdruck bringen soll. Das habe ich ganz anders erlebt. Im Gegenteil ich war überrascht über die ruhige Haltung der schwerverletzten Patienten. Allgemein waren die Patienten immer äußerst dankbar. Ich hätte gerne mehr für die wartenden Menschen getan, nur war es mir nicht möglich ohne das nötige Wissen und die Erfahrung. Wenn ich also fertig bin mit dem Studium, dann weiß ich zumindest wo ich gebraucht werde.
Diese Famulatur war wirklich eine sehr wertvolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

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Die Fährefahrten am Bosporus zwischen Asien und Europa haben mich für das frühe Aufstehen und dem stundenlagen Stehen in der Klinik mehr als entschädigt. Ein herrliches Gefühl so erschöpft am Deck zu sitzen und dem Meer, den Möwen und dem alten Byzanz zuzusehen.

Ansonsten hatte ich auch eine schöne, wenn auch etwas strenge Zeit in Istanbul. Denn die Stadt ist so riesig, dass es manchmal auch recht stressig wird. Freizeitaktivitäten bietet sie eine ganze Menge. Meistens hat man aber genug erlebt, wenn man sich einfach nur für einige Stunden in die Altstadt oder irgendwo am Bosporus hinsetzt und das geschäftige Treiben um sich herum beobachtet.
Es hat mich auch sehr gefreut meine Großeltern und auch die anderen Verwandten wieder zu treffen.

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Einer der vielen netten Gassen in Beyoglu, dem Ausgehviertel der Stadt, wo die Straßen auch um vier in der Früh noch so belebt sind wie am späten Abend.

Tipps


Maoz's Falafel from the Netherlands - hat niemand Lust ein Maoz in Innsbruck oder Wien zu franchisen?

meine mukke



Babylon Circus
Dances of Resistance




Thievery Corporation
DJ Kicks


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Sounds from the Thievery Hi-Fi


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The Richest Man in Babylon


Belle & Sebastian
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Zuletzt aktualisiert: 8. Sep, 15:13

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